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#15 Karin Graf

Die Welthaltige

von Holm-Uwe Burgemann
und Konstantin Schönfelder

Die Literaturagentur Graf & Graf befindet sich auf einem jener weiten Straßenzüge in Berlin-Charlottenburg. Auf der Mommsenstraße haben sich straßenaufwärts Kanzleien, Notare und Beraterinnen niedergelassen sowie eine Hand voll Schönheits­salons und Restaurants unterschiedlicher Nationalitäten, die teure Mittagstische anbieten. Es ist ein sonderbar ruhiger Vormittag im eisigen Januar und es scheint, als würden die Menschen hier ein wenig langsamer durch die Straßen flanieren können als in der sonst so ruhelosen Stadt.

In der Agentur herrscht professionelle Freundlichkeit, die Mäntel werden uns mit geübten Hand­griffen abgenommen und verstaut – ob wir denn Tee oder Kaffee bevorzugen? Es ist eine reibungslos laufende Maschine, Gästinnen gehen hier ein und aus. Und doch ist dies ein Ort zum Bleiben. Wir spüren die Wärme der Räumlichkeiten, die nicht nur von den wohligen Temperaturen ausgeht. Das orangene Licht reflektiert auf dem gemusterten Parkett, die vollständig gefüllten Bücher­regale sind bis an die Decken hochgezogen, an jedem der Bücherrücken weist ein farbiger Punkt den Platz im Archiv, und an den wenigen Stellen, wo die Wände freigegeben sind, hängen sorgfältig kuratierte Objekte, ein Spiegel, ein Gemälde, Insignien der eigenen Arbeit.

Graf & Graf wurde im Jahr 1995 als Literatur- und Medienagentur von Karin Graf gegründet. Inzwischen stehen ungefähr 250 Autor:innen unter Vertrag, die die Breite der schrift­stellerischen Medialität reflektieren: Belletristik, natürlich, Sachbuch, Filmrechte. In dem kleinen Besprechungs­raum im hinteren Teil der Agentur, an dessen rundem Glastisch wir uns ausbreiten und das Mikrofon an einer Ausgabe der Neuen Rundschau anlehnen, die wir wahllos aus ihrer lückenlosen Editions­geschichte hinter uns herausgegriffen haben, bekommen wir ein Gefühl für die Situation, in die sich jene hineinbegeben, die hier lebens­entscheidende Verträge aushandeln: Buch- und Büchner­preis­träger:innen, die einschlägigsten Namen des literarischen Erfolgs und jene, denen er noch bevorsteht. Als wir die Tür zu diesem nur wenige Quadratmeter großen Raum schließen und das Gespräch aufnehmen, ist die Außenwelt schlagartig abgetrennt. Karin Graf ist ununterbrochen präsent, konzentriert, besonnen.

Wann hast du begonnen, von dir als Agentin der Literatur zu sprechen?

Den Plan dazu habe ich 1994 gefasst. Ich habe mich im Herbst 1994 mit dem Gedanken vertraut gemacht und mich vorbereitet und sogar Visitenkarten drucken lassen. Im Januar 1995 habe ich dann wirklich angefangen, so zu agieren und auch zu agentieren. Aber richtig von mir als Agentin zu sprechen, zu sagen, ich bin Agentin, das hat dann nochmal mindestens ein Jahr gedauert – bis ich genügend Vermittlungen vorweisen konnte. Sehr hilfreich war, dass es nach der Buchmesse 1995 ein Porträt im Spiegel gab. Das war enorm hilfreich, sowohl nach außen als auch nach innen, also für mich in meinem Selbst­verständnis. Das bin ja ich, das mache ich.

In was für eine Literaturwelt hast du dich hineingegründet?

Bis zum Fall der Mauer 1989 hatte ich überwiegend als Übersetzerin gearbeitet und wenn nicht als Übersetzerin, dann auf dem Feld der Übersetzungstheorie, Übersetzungsförderung, -wissenschaft, -ausbildung, mit Seminaren und Konferenzen, sowohl hier als auch in den USA. Als die Mauer fiel, war ich gerade auf einer Übersetzerkonferenz in Iowa und wusste schlagartig, als ich wieder zu Hause war, dass das Leben in Westberlin genauso zu Ende war wie das Leben in Ostberlin. Es würde so nicht weitergehen. Es war mir auch klar, dass ich, um mich dem zu stellen, mein Leben ändern müsste. Da habe ich angefangen, andere Tätigkeiten auszuüben und wurde Pressefrau bei Rowohlt Berlin. Der Verlag wurde 1990 von Michael Naumann als Dependance von Rowohlt gegründet, um sich auseinanderzusetzen mit dem Niedergang der DDR, dem Abgesang auf die DDR und dem Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten, einer neuen Gesellschaft und einer Öffnung hin nach Osteuropa, das bis dahin schwer zugänglich gewesen war für Leute mit westdeutschem Reisepass. Das habe ich ein paar Jahre gemacht. Ich habe sehr viele unterschiedliche Landsleute kennengelernt: von Schabowski bis Jens Reich, eine große Bandbreite an Sachbuchautoren, aber auch in der Belletristik. Und als ich dachte, das kenne ich jetzt und noch einen Schritt weitergehen wollte, auch in die Geschichte hinein und in die neue Gesellschaft, da wurde ich Feuilleton-Redakteurin bei der Zeitschrift Wochenpost. Das war »Die Zeit der DDR«, eine Zeitschrift mit einer riesig hohen Auflage. Gruner + Jahr hatte sie und auch ihr Haus, das auf der Ostseite Checkpoint Charlie stand, gekauft. Das war eine tolle Belegschaft damals mit Journalisten aus Ost und West. Und es ging so lange gut, bis der Chefredakteur Mathias Greffrath gefeuert wurde von dem damaligen Gruner + Jahr-Chef. Am nächsten Tag war jemand, der eigentlich nur ein Volontariat machte, der neue Chefredakteur: Mathias Döpfner.
Es gab daraufhin Bewegungen in der Belegschaft der Zeitung. Einige Kollegen scharten sich um ihn, andere gingen sofort weg, anderen wurden gekündigt, es kamen neue Leute. Ich glaube, niemand aus dem Osten kam dazu. Ich habe mir das ein paar Monate angeschaut und dann auch gekündigt. Ich bin dort traurig weggegangen. Dann wurde die Zeitschrift nochmal verkauft und es kam ein anderer Chefredakteur, Jürgen Busche von der SZ, der nochmal versucht hat, die Wochenpost zum Leben zu erwecken. Aber irgendwann wurde sie leider eingestellt.
Dann habe ich als Pressefrau beim Berliner Ensemble gearbeitet, dem alten Brecht-Theater. Das hatte damals vier Intendanten, zwei aus dem Osten, zwei aus dem Westen: Heiner Müller und Fritz Marquardt, und Peter Palitzsch und Peter Zadek.
Das war schwierig, mit vier Intendanten und vier verschiedenen Vorstellungen. Das habe ich aber bis zu Müllers Tod gemacht. Nach dessen Beisetzung bin ich gegangen, weil klar war, so würde es nicht weitergehen. Es würde neue Modelle geben müssen. Und das war der Punkt, an dem ich dachte: Jetzt habe ich so viele Einblicke gewonnen in das andere Deutschland, das mir bis dahin verschlossen war oder dass ich für verschlossen gehalten hatte. Auch, weil ich erst 1986 aus Westdeutschland, aus dem Rheinland, nach Berlin gekommen war. Ich hatte wenig Beziehungen zur DDR und bin in den drei Jahren vor dem Mauerfall fast nie hingefahren. Wir haben nie irgendwohin Ausflüge gemacht. Die habe ich den Jahren danach um so mehr gemacht und dabei sehr viele Menschen kennengelernt und sehr viele Einblicke gewonnen. Eine sich so rasch ändernde gesellschaftliche Situation würde es so schnell in Deutschland nicht wiedergeben, dachte ich jedenfalls. Das ging im Osten einher mit dem Verkauf vieler Verlage. Alle DDR-Verlage wurden abgewickelt und verkauft. Es gibt keinen einzigen großen mehr heute, außer Aufbau, der aber auch in westdeutschem Besitz ist. Ich fragte mich, was wird aus diesen jungen Schriftstellerinnen der DDR? Was wird aus den jungen Autoren in Westdeutschland, deren Verlage auch verkauft worden sind, so wie Piper und Rowohlt und Kiepenheuer & Witsch?
Die wurden alle an Konzerne verkauft. Das war eine Chance, bei den Autoren vorzufühlen und Kräfte zu sammeln und zu bündeln. Eine Chance, Autoren, die Orientierung suchten, zu unterstützen. Es war alles in Bewegung. Jetzt kann ich eine Agentur gründen, dachte ich. Ich habe genügend Erfahrung darin, sprachlich durch das Übersetzen, durch die Kenntnis der Verlage in Ost und West, durch die gute Kenntnis der deutschsprachigen Literatur – ich hatte ja Literatur studiert –, und durch persönliche Kontakte... Ich versuche das mal nach dem angelsächsischen Vorbild, dachte ich, das ich durch die von mir übersetzten englischen und amerikanischen Autoren ebenfalls kannte.

Du hattest die Instrumente, das Handwerk der Literatur gelernt. Das Repräsentations­vakuum, unter dessen Eindruck sich dein persönlicher Umbruch dann vollzogen haben muss, hat niemand kommen sehen, nicht?

Das ist ein interessantes Wort: »Repräsentations­vakuum«. Es gab einen Umbruch und es gab ein Vakuum. Das ist mir nie in den Sinn gekommen. Es entstand ja auch Neues, so wie Rowohlt Berlin. Im gleichen Jahr wie die Agentur wurde der Berlin Verlag von dem ehemaligen Verlagsleiter Arnulf Conradi und seiner Frau Elisabeth Ruge in Berlin gegründet. Es gab auch anderswo kleinere Neugründungen. Verlage verschwanden, und neue kamen zur selben Zeit. Ich dachte, dass ich da als eine Art Scout, Pfadfinderin und Ratgeberin sehr gut meine Fähigkeiten anwenden könnte, denn ich wollte nicht mehr zum Übersetzen zurückkehren.

Aber diese Sorge angesichts dessen, was in dieser Zeit verloren ging – entstand diese Sorge schon damals oder wurde dir das erst später präsent?

Die war mir auch damals präsent, natürlich. Ich meine, so ein Verlag wie Volk und Welt, das war ein toller Verlag. Die hatten ein fantastisches, auch fremdsprachiges Programm. Der Verleger hieß Dietrich Simon, arbeitete noch ein paar Jahre lang für S. Fischer und leitete dann die S. Fischer Stiftung . Das waren gute Institutionen und Werte, die verschwanden oder jedenfalls umverteilt wurden.

Wolltest du das aufhalten?

Nein, nein. Das war kein Rettungsversuch für Verlage. Ich bin ja auch nicht in dem Sinne unternehmerisch tätig geworden, dass ich einen Verlag gegründet oder mich um eine Stelle in einem Verlag bemüht hätte. Ich war bewusst auf mich allein gestellt gewesen, mein ganzes Berufsleben lang, und das wollte ich auch durchaus weiter bleiben. Ich kannte mich sehr gut aus mit den Verlagsprogrammen, der Literatur und den Verfassern. Ich wusste, was wo vielleicht gebraucht wird, was für die Programme gesucht wird und welche Autorinnen da hineinpassen könnten, sowohl an jungen und neuen Stimmen als auch an solchen, die durch die Umstrukturierungen ihre Verlags­heimat verloren hatten oder nicht mehr bleiben wollten.

Die Agentur

Ich stelle mir jetzt diese Situation vor: 1994, der Umbruch in der Literaturwelt ist in vollem Gange. Nun hast du dich aber nicht entschieden, in einen Verlag zu gehen oder irgendetwas anderes, konventioneller Berufsbezeichnung nach, zu tun, sondern eine Agentur zu gründen. Das war ja, auch wenn es nicht die erste in Deutschland war, dennoch etwas Neuartiges.

Es gab schon im 19. Jahrhundert Agenturen in Deutschland. Das waren, glaube ich, gesunde Unternehmen. Die kamen aber durch den Nationalsozialismus zum Erliegen. Die meisten waren in der Hand von jüdischen Unternehmern und Geschäftsleuten, die emigrieren mussten oder deren Geschäfte geschlossen wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland zunächst niemanden, der das so fortführte. Die großen Agenturen waren dann in der Schweiz. Das waren die, die ausländische Literatur nach Deutschland brachten. Es war leichter, glaube ich, das in der Schweiz zu machen, aus geschäftlichen, steuerlichen und Lizenzgründen. Ich habe die Geschichte der Agenturen nicht so genau erforscht. Das kann man aber bei Carolin Amlinger nachlesen. Ich bin bei drei großen Agenturen in der Schweiz gewesen, Liepman, Mohrbooks und Fritz, und habe gesagt, was ich machen will. Sie waren sehr nett zu mir und haben mir bereitwillig erzählt, wie sie arbeiten und was sie konkret tun.

Kannst du das genauer beschreiben?

Ich bin nach Zürich gefahren und habe mich bei den Kollegen umgehört. Es gab aber auch in Deutschland große Agenturen, wie Schlück, Meller, Lianne Kolf oder Thomas Montasser zum Beispiel. Die befassten sich auch hauptsächlich mit dem Import und Export von Büchern und arbeiteten viel im Bereich des Sachbuchs oder machten viel Unterhaltung, Krimis, Spannungs­literatur. Das war nicht mein Feld.
Mein Feld war die Literatur. Insofern hatte ich in Deutschland kein Vorbild vor Augen. Ich wollte auch nicht mit Rechten handeln. Ich wollte keine Bücher im Ausland einkaufen, sondern hier mit den Autoren und Autorinnen selbst arbeiten und habe das natürlich mit vielen besprochen. Es gab einige, die dem sehr wohlwollend gegenüberstanden, auch Autoren.
Friedrich Christian Delius, beispielsweise. Und Hans Magnus Enzensberger, der selbst nicht mitkommen wollte; er war ja sehr gut versorgt. Aber er half mir, indem er meinen ersten Businessplan machte. Ich muss ihn noch irgendwo haben, auf Rechenpapier. Er rechnete mir genau aus, wie das funktionieren könnte. Ich war sehr fasziniert. Ich hatte keinen Businessplan. Ich hatte auch kein Gründungsdarlehen. Ich war kein Startup. All das gab es nicht. Ich habe das einfach so gemacht.

Welche Imaginationen hast du mit der Gründung der Agentur verbunden? Kannst du beschreiben, welche Arbeitsweise du dir vorgestellt und gewünscht hast?

Mit Sicherheit habe ich nicht unternehmerisch gedacht, sondern inhaltlich, immer nur inhaltlich. Heinke Hager, die heute die Geschäftsführerin dieser Agentur ist, war von Anfang an dabei. Wir haben anfangs einfach nur mit Autoren und Autorinnen gesprochen, wir haben Texte gelesen und uns über diese Texte unterhalten und dann versucht, diese Manuskripte zu guten Konditionen bei Verlagen unterzubringen. Ich habe keine eigenen Autorenverträge gehabt damals, keine Agenturverträge. Ich habe ein Geschäftskonto , damit sich das Geld nicht mit dem Privaten vermischt, eröffnet. Und ich habe die Einnahmen und die Ausgaben in ein Kassenbuch eingetragen. Das war alles.
Der erste, den Heinke und ich nach ein oder zwar Jahren beschäftigten, war ein richtiger Buchhalter. Der kam einmal in der Woche und hat Rechnungen geschrieben und die Abrechnungen geprüft und die Buchhaltung für das Finanzamt vorbereitet. So habe ich die Agentur ein paar Jahre lang betrieben, einfach als Privatperson. Ich bin dann nach ein paar Jahren rausgeflogen aus dem Versorgungswerk der Presse. Da konnte man als Freiberufler Beihilfen beantragen zur Krankenkasse und zur Altersversorgung. Die haben mir jedenfalls einen Brief geschrieben und gesagt, Sie sind ja gar nicht mehr künstlerisch-kreativ tätig. Sie haben ja ein Unternehmen!
Da kamen keine Zuschüsse mehr zu meiner Krankenkasse und meiner Altersversorgung. Und selbst das habe ich noch weggewischt. Dann kam aber ein Super-GAU. Das Finanzamt erklärte mir: Die Autoren, die Sie betreuen, schreiben Bücher, und dafür zahlt man nur 7 Prozent Mehrwertsteuer. Aber was Sie machen, ist eine reine Dienstleistung und kein kreativer Vorgang. Sie müssen deswegen 19 Prozent Umsatzsteuer bezahlen. Ich hatte aber, wie die Autoren, nur 7 Prozent verlangt. Da kam eine große Summe zusammen nach vier Jahren.
Das Finanzamt wollte 25.000 Mark von mir haben. Daraufhin habe ich mit dem Steuerberater diskutiert, der mich falsch beraten hatte. Aber der wollte nicht für diesen Schaden aufkommen. Dann habe ich wirklich den Steuerberater verklagen müssen, weil ich solche Rücklagen gar nicht hatte. Er hat den Prozess verloren und musste die Mehrwertsteuer zahlen. Ich bin zu einem anderen Steuerberater gegangen und dann, aber erst dann, haben wir die GmbH gegründet.
Bis dahin habe ich nicht als Unternehmerin von mir gedacht. Ich habe an mich als eine Freiberuflerin gedacht. Das Bild einer Unternehmerin kam erst später.

Wie viele Jahre liegen zwischen deiner Gründung und deren anschließender Konsolidierung als juristische Person?

Das war 2000, also fünf Jahre. Damals sind wir auch umgezogen. Bis dahin haben wir von meinem Zuhause aus gearbeitet. Erst nur in meinem Arbeitszimmer, dann auch im Arbeitszimmer von meinem Mann. Es wurde immer mehr. Die ganze Wohnung wurde immer mehr zum Büro. Als wir die GmbH gründeten, haben wir diese Räume hier in der Mommsenstraße gesucht und gefunden.

Wart ihr da bereits etabliert, dass ihr glaubtet, diese Räume hier gleich füllen zu können?

Ich war schon ein bisschen ängstlich. Wie gesagt, ich hatte keinen Kredit aufgenommen und keine Investoren im Rücken. Das Einzige, was ich noch gemacht habe, waren eine Reihe freiberuflicher Tätigkeiten, damit ich selbst zunächst nicht von meiner Agenturtätigkeit leben musste und das Geld, das die Agentur verdiente, reinvestiert werden konnte. Heinke Hager hatte in der Zwischenzeit ihr Studium beendet und bei mir als Agentin angefangen. Sie ist, glaube ich, wirklich die einzige Person, die nie etwas anderes gemacht hat und direkt vom Studium aus in diesen Beruf hereingewachsen ist. Dass wir beide richtig davon leben und ein Backoffice aufbauen konnten, dauerte nochmal ein paar Jahre.

Du sagtest: immer inhaltlich. Dass ihr immer inhaltlich gehandelt hättet. Doch das ist in unternehmerischen Fragen – und diese Arbeit scheint mir doch gerade insofern literarisch als sie unternehmerisch organisiert war – immer nur die halbe Geschichte, nicht?

Bei Übersetzungs­aufträgen, von denen ich gelebt habe, wusste ich, dass ich rechnen muss: Wie viel ist meine Arbeit wert? Was kann ich dafür auf dem Markt verlangen? Das konnte ich für mich selbst ganz gut und später für die Autoren und Autorinnen noch besser, weil es für andere leichter ist als für sich selbst. Ich hatte als Übersetzerin natürlich auch Angst, einen Auftrag nicht zu kriegen, weil ich zu teuer war. Obwohl mir das dann später auch egal war, denn es tun sich erfahrungsgemäß immer Alternativen auf. Ich habe, beispielsweise, die beiden ersten auf Deutsch erschienen Romane von Salman Rushdie übersetzt und den dritten, Die satanischen Verse, nicht, und zwar nicht aus politischen Bedenken, sondern weil der neue Verlag von Salman Rushdie mir nicht das zahlen wollte, was ich angemessen fand.

Also war dieses Selbstverständnis nicht neu für dich.

Die Verhandlungsarbeit ist im Kern dieselbe geblieben, ja. Andere Dinge sind jedoch dazugekommen – die Projekt- oder Stoffentwicklung, die Begleitung des Autors bei der Exposé­verfertigung, der Bearbeitung des Textes, die Positionierung darin, die Vermarktung des Autors, bis er beim Verlag untergebracht ist, überhaupt die Suche nach dem richtigen Verlag. Irgendwann war die Agentur groß und ich konnte loslassen – Heinke Hager, die im operativen Bereich die Filmrechte vertritt, hat die Aufgaben der Geschäftsführung übernommen. Personal, Einkauf, Organisation, Finanzen. Ich lese unsere Bilanzen nur noch einmal im Jahr. Und neben mir arbeiten längst drei weitere Agentinnen.

Von hier aus, so scheint es mir, lassen sich zwei Linien verfolgen: deine unternehmerische Selbstbestimmung, über die wir bereits gesprochen haben, einerseits und deine Integration in den Literaturbetrieb andererseits. Das heißt, hier vollzog sich ein Rollenwechsel, der, so nehme ich an, deine Reinszenierung als Agentin notwendig machte. Oder sollte ich mir das weniger theatral vorstellen?

Neulich war ich mit einem Autor im Theater, der sagte, wieso kennen dich denn alle Leute hier im Theater? Weil ich seit Jahren in Berlin ständig ins Theater gehe, weil ich eine begeisterte Theatergängerin bin. So war das auch mit der Literatur. Ich hatte schon als Studentin einer Freundin, die einen kleinen Verlag hatte, auf der Buchmesse geholfen. Ich war mit vielen Autoren befreundet. Ich ging regelmäßig zu Lesungen in literarischen Institutionen. Ich habe Projekte und Veranstaltungen vorgeschlagen, ich war integriert in den Betrieb, war durch die Übersetzerinnen­tätigkeit gut vernetzt.

Aber gab es da keine Reibung?

Na ja, es gibt immer Leute, die einen mögen und eher nicht mögen und umgekehrt, mag man selber auch Leute nicht oder lehnt sie ab. Aber bei den Autoren und Journalistinnen wird man als Agent dankbar angenommen. Bei den Verlegern sind Agenten naturgemäß Sand im Getriebe. Ich glaube aber, dass die Agentur Graf & Graf eine breite Akzeptanz hat – fragt doch mal nach in den Verlagen!

Deine Agentur entstand jedoch inmitten dessen, was du uns bei unserem ersten Gespräch als Zeit der Literaturkriege beschrieben hast, richtig?
Das erste Buch, das wir verkauft haben, war an den neu gegründeten Berlin Verlag. Die hatten Bedarf, die brauchten neue Autoren, neue Bücher. Siegfried Unseld bei Suhrkamp war früher durchaus nett zu mir gewesen. Ich hatte mal einen Filmessay gemacht über einen berühmten Übersetzer lateinamerikanischer Literatur bei Suhrkamp. Aber als Agentin lehnte er mich komplett ab, weil er fand, das brauche man nicht. Mittlerweile wird auch der Suhrkamp Verlag von einem Manager geführt, der 2022 zum Verleger des Jahres gekürt wurde. Einen vergleichbaren Weg wie den, den diese Agentur gemacht hat, ist der Matthes & Seitz Verlag mit Andreas Rötzer gegangen. Er hat bei Matthes & Seitz als Buchhalter angefangen – und ist über diese wirtschaftliche Seite zu seinem Verlag gekommen, obwohl er auch immerzu inhaltlich denkt und argumentiert, und überhaupt visionär ist.

Also wurde die Bindung zwischen Verleger und Autor schwächer …

Ja, die war Mitte der 90er Jahre großenteils verschwunden, auch weil die angestellten Verleger oft die Stelle wechselten, beziehungsweise geheuert und gefeuert wurden. So schlimm wie im Journalismus wurde es allerdings nie.

… und ihren Platz nimmst nun du ein?

Es ist, glaube ich, sehr wichtig für Autoren, in unterschiedlichen Abstufungen und Graden eine Person in der Nähe zu wissen, auf die sie sich verlassen können. Für manche ist das sehr wichtig. Da ist man sehr eng beim Entstehen des Buches dabei. Andere brauchen das viel weniger, die brauchen wirklich nur eine gute geschäftliche Beratung. Aber auch dazu gehört natürlich Vertrauen.

Warum, glaubst du, vertrauen sie dir?

Als ich mit der Agentur anfing, konnte ich den Autoren und Autorinnen glaubhaft machen, dass ich ihre Texte verstehe, dass ich sie wertschätze, dass ich aber auch mit ihnen daran arbeiten und sie noch besser machen kann. Dass ich sie verkaufen kann, nicht nur für einen guten Vorschuss, das bestmögliche Garantiehonorar, sondern an einen Verleger, ein Verlagsprogramm, zu dem sie passen. Eine potentielle Verlagsheimat.
Das habe ich richtig gemacht, und wenn jetzt Autoren sich überlegen, ob sie zu dieser oder einer anderen Agentur kommen wollen, wenn sie etwas über uns wissen wollen, reden sie untereinander und befragen ihre Netzwerke. Sie fragen, bist Du auch da, bist Du zufrieden, wie ist denn das, läuft das gut? Mittlerweile müssen sie von Kollegen oder Menschen, denen wir vertrauen, bei uns empfohlen werden. Wir können nämlich gar nicht mehr so viele Autoren an- und aufnehmen, weil unsere Kapazitäten erschöpft sind und wir außerdem uns selber auch nach Autorinnen umschauen wollen.
Am Anfang war das noch schwieriger, weil das Modell Agentur unbekannt war. Angefangen habe ich mit vielen Autoren, die noch unbekannt waren. Ich bin zum Beispiel dem damaligen open mike sehr dankbar. Viele unserer erfolgreichen Autoren und Autorinnen habe ich dadurch kennengelernt: Karen Duve, Terézia Mora, Jochen Schmidt, Kirsten Fuchs. Alles open mike-Gewinner. Ich selbst gehe schon seit Jahren nicht mehr hin, aber ich weiß, dass da jetzt sehr viele Agenten und Verlage sind und alles ausgesiebt wird. Und die besten Teilnehmerinnen wahrscheinlich schon einen Buchvertrag in der Tasche haben, wenn sie den Raum verlassen. Das war damals nicht so.

Das Entdecken ist also auch deine Rolle.

Wie viele Bücher haben die Autoren, die ich gerade nannte, in der Zwischenzeit geschrieben? Was für ein Oeuvre steckt dahinter? Das ist enorm. Viele Agenten spezialisieren sich auf einem bestimmten Geschäftsbereich: für Unterhaltung, Genre, Ratgeber, Wellness, Bestseller. Wir sind spezialisiert auf Literatur.

Und manch eine würde sagen: die Königsdisziplin.

Ich habe mir das ausgesucht, was ich selber gerne lese, was ich mag, was ich für gut befinde und was ich beherrsche. Und dazu gehören auch Themen und Stoffe, die so gut gedacht und formuliert sind, dass sie mich berühren, obwohl sie mich nicht betreffen. Ein gutes Beispiel ist Karen Duves Sisi – was verbinde ich denn mit Sisi? Die Autorin verklärt sie nicht oder verdammt sie nicht, sondern betrachtet ihre Hauptperson aus unterschiedlichen Perspektiven, lässt ein Sittengemälde der Ära und Zeit entstehen.

Terézia Mora, hast du beim open mike entdeckt. 25 Jahre später musst du sie nicht mehr entdecken, aber weiterhin vertreten, ihre Interessen durchsetzen.

Natürlich. Ja.

Was bedeutet das?

Bei Terézia Mora ist das jetzt einfach, weil sie alle Preise bekommen hat, die man in Deutschland bekommen kann, inklusive dem Büchnerpreis. Aber das steht nicht am Anfang, jedenfalls gehe ich nicht zu einem Autor hin oder einer Autorin, die gerade einen Büchnerpreis bekommen hat und sage, komm’ jetzt zu mir. So oder so bin ich sehr stolz darauf, dass wir mittlerweile fünf Büchnerpreis­träger vertreten und sechs Autorinnen den Deutschen Buchpreis gewonnen haben. Das steht jedoch idealerweise in der Mitte einer Laufbahn, jedenfalls nicht am Anfang der Zusammenarbeit.

Dann beginnen wir doch am Anfang.

Als ich zum Beispiel mit Joshua Groß zusammenkam, da hatte ich verschiedene Textproben von ihm, verschiedene Erzählungen und kleine Texte, die in kleinen Verlagen erschienen waren. Er ist uns empfohlen worden von einem Lektor, der ihn in seinem Verlag nicht veröffentlichen konnte. Ich fand Joshua Groß interessant und schillernd als Autorenpersönlichkeit in ihrem Denken und Schaffen. Ich habe diese Texte nicht alle auf Anhieb durchdrungen, aber wusste und erkannte, dass sowohl in der Komposition als auch im Inhalt und der Sprache dieser Texte etwas Neues war, das es in meinen Augen so noch nicht gegeben hatte. Dann hat er seinen Roman, Flexen in Miami, entwickelt und fertig geschrieben, bevor ich ihn vermittelte, zu schwierig, so einen Stoff mit nur einem Kapitel unterzubringen, weil man nicht wusste, wie er sich entwickelt. Der Roman hat ja keine lineare Story.
Ich wusste auch, dass ich damit nicht zu Heyne gehen brauch, erst recht nicht zu Lübbe, oder noch nicht mal Rowohlt. Sondern es musste jemand sein, der auch Lust auf ein Experiment hatte. Und Andreas Rötzer hatte Interesse, er wollte das machen. Er hatte aber auch die Sorge, dass er dieses Buch herausbringt, und dann sagen Autor und Agentin: vielen Dank, jetzt sind wir erfolgreich und gehen zu einem größeren Verlag. Wir haben dann mit dem Verleger gleich einen Drei-Buch-Vertrag gemacht – ein Erzählungsband, ein Essayband, ein Roman. Dieser Drei-Buch-Vertrag ist jetzt erfüllt und Joshua Groß hat ein gutes Stück Weg zurückgelegt. Er hat viel Anerkennung bekommen – in der Presse und Stipendien erhalten. Jetzt muss man überlegen, wie es weitergeht. Mit welchen Themen befasst man sich als nächstes? Da sind Autor, Agentin und Verleger im Gespräch.

Deine Position ähnelt der einer Lektorin, und doch vertrittst du das Interesse dieses Autors umfassender.

Ja, genau. Ich mache das sehr detailliert manchmal, wenn ich bei der Lektüre auch Kleinigkeiten festhalte, auf einzelne Zeilen eingehen. Aber im Allgemeinen geht es eher um das Größere – Perspektive, Dramaturgie, Aufbau und schließlich um die Darstellung des Werks auf dem Markt.

Du hilfst diesem Menschen, sich als Schriftsteller zu entwerfen.

Ja, wir reden darüber. In welchem Verhältnis soll Prosa zur Lyrik stehen, oder soll eine Autorin, ein Autor ein Sachbuch schreiben, ein Essay? Vorlesungen sind jetzt sehr beliebt an den Hochschulen. Welche Textsorte ist gut für den Selbstfindungsprozess? Wo sollen sich Schriftsteller engagieren?

Das heißt, deine Beratung ist auch strategisch.

Ja.

Wenn du zu einem Verlag gehst und diesen Schriftsteller dann präsentierst, anbietest, zeigt sich diese Passgenauigkeit, nach der du suchst, ad hoc?

Es passiert schon mal, dass der Entscheidungsprozess dauert, beispielsweise bei Debütromanen. Wenn Autorinnen gut integriert sind in ihrem Verlag, dort wertgeschätzt werden, wenn die Bücher halbwegs gut laufen, dann geht das rasch, selbst wenn das Genre gewechselt wird. Bei erfolglosen Autoren geht das nicht, jede Strategie ist individuell.

Trauen dir die Verlage seherische Fähigkeiten zu?

Ich glaube, sie tun das, wenn es um Kongruenz von Anspruch, Inhalt und Form geht; die vielen preisgekrönten Werke bei uns belegen das. Es wird angesichts der zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Zeiten allerdings etwas mühsamer, Debütanten mit schwierigen, komplexen, manchmal düsteren Stoffen und Themen unterzubringen und seien sie noch so gut geschrieben. Aber ich bin guten Mutes.

Das heißt, es war früher leichter?

Ja, es war schon anders. Als man eben noch hungrig auf neue Stimmen war. Es gab mal eine Titelgeschichte im Spiegel von Volker Hage, mit dem Titel »Das Fräuleinwunder«. Der bezog sich darauf, dass junge Autorinnen in die bislang sehr stark männerdominierte Literaturwelt kamen. Als alle diese jüngeren Frauen etabliert waren, wurde es leichter für die Nachfolgenden. So muss man das sehen: die Lage ist ernst, aber nicht rettungslos!

Was ist das Handwerk einer Agentin heute?

Die Vermarktung des Autors. (lacht) Das hätten wir gerne. Agentin zu sein beinhaltet in der Tat – du hast das Wort eben gesagt – auch die Fähigkeit zu einer strategischen Beratung, wenn bereits ein Werk vorliegt und man absieht, was der Autor oder die Autorin leisten oder erwarten kann. Ich hatte zum Beispiel ein Gespräch mit Robert Menasse darüber, ob es gut wäre, zwischendurch nochmal ein Sachbuch zu schreiben. Oder, warum möchte ein Autor unbedingt einen Roman aus einem Stoff machen, der sich in meinen Augen eher für ein Sachbuch oder einen Essay eignet. Strategie umfasst Inhalt, Form, Gestaltung, Marktfähigkeit und Perspektive. Und Marktwert. Das sind die Schlagworte, die man erkennen muss und mit denen man umgehen muss.

Du sagtest, ihr könntet kaum noch neue Autor:innen in eure Agentur aufnehmen. Wie oft müsst ihr Nein sagen?

Wir müssen leider oft Nein sagen. Wir können nicht unendlich viele Leute einstellen, um lauter unverlangt eingesandte Manuskripte zu prüfen. Aber es gibt mittlerweile auch sehr, sehr viele andere Agenturen, die alle ihr Ein- und Auskommen haben. Wir vertreten mittlerweile rund 300 Hausautorinnen und -autoren, das ist viel. Trotzdem müssen auch immer einige dazukommen. Wir nehmen jedes Jahr einige wenige auf.

Und es verlassen euch nur wenige?

Christian Delius, Monika Bittl sind 2022 und Jürgen Flimm 2023 gestorben. Das ist ein trauriges Verlassen. Einige Autoren gehen, von anderen trennt man sich auch wieder, Gott sei Dank meistens im gegenseitigen Einvernehmen. Das sind Fälle, wo Autorinnen sich das anders vorgestellt haben oder wir Autoren nicht weiterhelfen können.
Manchmal sind die Autoren unzufrieden, weil sie nicht den Durchbruch haben, den sie gerne hätten. Das lässt sich aber nicht erzwingen, weder vom Verlag noch von der Agentur. Und kann viele Gründe haben, vielleicht fehlt die literarische Brillanz, oder die Marktgängigkeit oder das Werk ragt nicht heraus aus der Vielzahl der Neuerscheinungen.

Du hast mal gesagt, dass Lesen einen Geschmack ausbildet. Und dass dieser einmal hergestellte Geschmack eine Sensibilität bedeutet, durch die sich mit den Jahren immer leichter sagen lässt, was gut ist und was nicht, und mehr noch: was sich letztlich behaupten wird.

Manchmal wird man überrascht von der Entwicklung des Publikum­geschmacks oder den Moden, denen der Markt folgt. Man befasst sich mit der Geschichte von einem Autor, einer Autorin, einem Thema, einem Stoff. Ein Verlag nimmt das und verlegt es. An dem Zeitpunkt, an dem das Buch rauskommt, interessiert sich gerade niemand mehr für die große Saga, sondern gerade sind die kleinen Dramen wieder angesagt. Das passiert manchmal. Dann ist das Buch nicht so erfolgreich, wie man hoffte, dass es sein würde. Oder es bricht ein Krieg aus und alles ändert sich. Umgekehrt gibt es auch Überraschungserfolge, wenn die Geschichte oder das Thema eines Buches überraschende Aktualität an den Tag legt, viele berührt oder betrifft. Nach wie vor ist die Mund zu Mund-Propaganda bei uns sehr wirkmächtig.

Was braucht ein Buch, um erfolgreich zu sein?

Literarische Brillanz – wenn das Buch auf Anhieb umwerfend ist, dann wird man es veröffentlichen. Man verkauft vielleicht nicht mehr so viel, aber es gewinnt einen tollen Preis und der zeitigt Verkäufe. Oder es funkelt so toll, dass alle es bewundern, die Presse allen voran. Das ist schon mal sehr gut. Aber das hat man nicht sehr oft, sowas wie ein lupenreiner Diamant. Häufig ist eine Sache ausschlaggebend. Mal ist es der Stil, mal die Story. Es gibt auch Bücher, die so glänzend geschrieben sind, dass man das Gefühl hat, man lese pure Literatur. Man sonnt sich als Leser darin: Das ist ein tolles Buch, die Geschichte nimmt mich mit und hat auch mit mir zu tun. Ich kann mich darin wiederfinden. Diese Romane nehmen den größten Raum ein, mehr als die mit reiner literarischer Brillanz. Ich fand das Buch von Moritz Baßler über »Midcult« zum Beispiel interessant. Wenn allerdings mehrere Kriterien nicht erfüllt werden, haben die Bücher es zurzeit sehr schwer, auch durch die Verknappung der Programmplätze.

Können wir den Bogen der Agentur-Biografie noch zu Ende machen: Wie sieht die Agentur heute aus? Wie hat sich das Personal verändert?

Also, erstmal waren es Heinke Hager und ich allein. Dann wurde die Buchhaltungsstelle permanent ausgebaut und diversifiziert. Am Anfang haben wir nur Belletristik gemacht, dann haben wir Sachbücher dazu genommen. Franziska Günther organisiert, betreut, verkauft mittlerweile 40 Prozent unserer jährlichen Titel. Ein großer Schritt war es, die Verlage zu überzeugen, dass wir die von uns entwickelten Verträge nehmen, die Verträge für die Autoren nach unseren Maßgaben gemacht werden, nicht nach ihren. Das heißt, Verträge werden kontinuierlich aktualisiert. Die Stelle dafür ist nun mit Herrn Lingg besetzt, der sowohl die Verträge ausstellt, die Feinverhandlungen führt, aber auch alle Honorar-Abrechnungen kontrolliert. Die sogenannten kleinen Lizenzen vergeben zwar die Verlage – wir üben diese Lizenzen nicht selbst aus –, aber sie müssen immer nachgefragt werden.
Das macht eine Mitarbeiterin, die sich außerdem um Hörspiel, Hörbuch, Podcast kümmert, unter der Anleitung von Herrn Lingg. Die beiden bilden die Honorar-Lizenz-Abteilung. Frau Hager macht neben der Geschäftsführung im operativen Bereich die Filmrechte. Das ist auch sehr erfolgreich geworden im Laufe der Jahre und gut gewachsen. 2022 sind mehrere Verfilmungen von uns vermittelten Büchern ins Kino gekommen, und im Fernsehen sind weitere gelaufen. Und wir sind drei Agentinnen für die Belletristik, außer mir noch Meike Herrmann und Anja Johannsen. Theresa Poralla ist unsere Assistentin, während sie noch ihre Masterarbeit schreibt. Insgesamt vermitteln wir jedes Jahr rund 100 Bücher.

Die Agentin

In der Pause ruft Karin Graf eine Autorin zurück und rät ihr umgehend davon ab, für eine Verlagsreihe zu schreiben, die sie doch eh nur von ihrer eigentlichen Arbeit ablenken würde. Eine Kollegin ruft ihr zu, dass die Rezension zu dem neuen Buch von Kerstin Preiwuß in der FAZ erschienen sei, die neben anderen Tages- und Wochenzeitungen routiniert lesefertig auf dem Küchentisch liegt. Sie liest das Lob mit einem ahnungsvollen Lächeln, so als hätte sie das alles ohnehin kommen gesehen, was die Bestätigung jedoch nicht weniger schön macht. Im benachbarten Durchgangszimmer, in dem sich zwischen Bücherwänden drei Schreibtische gegenüberstehen, wird ohne Hast eine Filmlizenz verhandelt.

Wo hat deine literarische Beschäftigung begonnen?

Als ich die Agentur gründete, war ich beruflich schon sehr weit, ich war 40, und die Kinder waren, wie man so sagt, aus dem Gröbsten raus. Das Übersetzen als Beruf hatte sich sehr gut mit dem Aufziehen von Kindern vereinbaren lassen. Ich hatte 40 Bücher übersetzt, Literatur studiert, schon die gesamte Schulzeit davor dem Lesen gewidmet. Und ich glaube, das ist etwas, was viele Leute in unserer Branche, sowohl Schreibende als auch Organisierende und Verwertende, eint, die sie sich mit literarischen Texten befassen: alle waren Frühleser. So wie ich das Lesen entdeckte, habe ich sehr schnell lesen gelernt und immerzu gelesen. Das war meine liebste Tätigkeit.
Ich war ein sehr unsportliches Kind. Ich habe gelesen. Ich war als Kind in der Pfarrbücherei – in der evangelischen und der katholischen –, in der Schulbücherei und ich bekam Bücher geschenkt. Ich habe den Bücherschrank zu Hause – das war keine Bibliothek, sondern nur ein einziger Bücherschrank – im Nullkommanix leergelesen. Natürlich sind auch die Deutschlehrer prägend. Ich habe auch gerne Englisch gelernt in der Schule. Und ich habe später nicht Komparatistik studiert, sondern ganz bewusst zwei Sprachen, und damit umfassend Sprachgeschichte und -wissenschaft.

Und Sprache war immer in Literatur gebunden.

Ich habe meistens Primärliteratur gelesen. Ich erinnere mich, wie ich mich im Studium festgelesen und ganze Tage in der Bibliothek des germanistischen Seminars verbracht habe. Ich habe das gefressen, alles. Ich habe klassisch Anglistik und Germanistik studiert. Da musste man Pflichtscheine machen, die sich mit Sprachgeschichte befassten und mit Grammatik. Das war alles sehr hilfreich beim Übersetzen. Wenn man Worte ableiten kann und weiß, woher sie kommen – wo sind die Wurzeln, wo ist die Verwandtschaft, wie sind die Verhältnisse in der Grammatik – dann kann man damit operieren und schauen, wie es sich verändert von Sprache zu Sprache.

Was hielten deine Eltern von alldem?

Eigentlich hätten sie gerne gehabt, dass ich Juristin werde, und dann hätten sie zumindest gerne gehabt, dass ich Staatsexamen mache und Lehrerin werde. Ich habe sowohl für den Magister als auch für das Staatsexamen immer alle Scheine gemacht und habe mir das offen gehalten. Erst ganz kurz vor den Prüfungen habe ich mich vom Staatsexamen abgemeldet und für den Magister angemeldet, weil ich selbst Angst hatte, dass ich, wenn ich das Staatsexamen mache, in diesem Trott bleibe. Das wollte ich nicht. Ich wollte selbstbestimmt arbeiten.

Haben sich deine Gründe für das Lesen über die Jahre verändert oder sind sie immer gleichgeblieben?

Ich glaube, sie sind im Grunde gleichgeblieben. Da ist ein Hunger nach Geschichten. Mir erschließt sich das Leben und die Geschichte des Lebens und der Gesellschaften und ihrer Ordnungen und Regeln leichter durch das Lesen von Geschichten als durch mathematische Gleichungen oder durch Naturwissenschaften. Wie andere sagen, die Biologie oder die Geographie ist die Wissenschaft, durch die sie alles lesen können, waren es für mich immer die erfundenen oder teilweise erfundenen Geschichten. Ich habe auch gerne hybride Formen. Im Frühjahr 2022 habe ich das neue Buch von Angelika Overath gelesen. Das behandelt eine Zugfahrt aus der Schweiz bis nach Istanbul.
Eine sehr, sehr lange Zugfahrt. Und auf dieser Zugfahrt werden die Orte in Verbindung gebracht zu geschichtlichen Ereignissen und Perioden. Zum Beispiel wird die ganze Geschichte des Byzantinischen Reiches erklärt durch das, was der Reisende aus dem Fenster sieht und wem er begegnet, wenn er seine Reise unterbrechen muss, wenn der Zug stockt. Das finde ich spannend. Claude Simon war auch so jemand. In Georgica geht es eigentlich um einen Bauern, und mithilfe der Geschichte der Landwirtschaft wird die Geschichte der Kriege an sich geschildert. Von V. S. Naipaul ganz zu schweigen, der in meiner Übersetzerzeit mein Lehrmeister war. Ich habe eigentlich alles durch Literatur gelernt.

Hast du jemals selbst versucht, Geschichten zu schreiben?

Nein.

Woran liegt das?

Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich eine Geschichte zu erzählen habe, die sich mir aufdrängt. Oder selbst wenn, glaube ich nicht, dass ich literarisch oder sprachlich brillant genug wäre, um das zu tun.

Die Geschichte muss sich aufdrängen?

Ja, ich glaube, das ist so bei guten Schriftstellern. Es gibt eine Geschichte, eine Beobachtung, die will raus. Die sucht einen Weg. Es muss nicht bloß autofiktional sein, das ist bloß so eine Mode. Ich will zum Beispiel das letzte Buch von Arno Geiger noch lesen, der seine Geschichten im Altpapier gefunden hat. Das mag ich.

Das eigene Schreiben war also kein Topos für dich?

Nein. Ich habe schon bei kleinen Artikeln oder kleinen Texten, die ich geschrieben habe, gemerkt, dass mir das schwerfällt. Und wenn man einen Anspruch hat wie ich, der riesig ist, sind die Hürden unüberwindbar. Ich schreibe SMS, Mails, Briefe und Postkarten. Sonst nichts.

Erstaunt dich das?

Nein, das erstaunt mich nicht, und ich wünschte, es würden sich noch mehr Leute kritisch fragen, ob sie wirklich schreiben wollen und müssen. (lacht) Wir müssten eigentlich die Ansprüche an das Schreiben höherschrauben. Ich wünschte auch, dass nicht jeder Schauspieler oder Sportler oder jede Politikerin oder jeder Lektor oder jede Kritikerin denkt, er oder sie müsste auch einen Roman schreiben.

Und doch geschieht genau das.

Ich glaube, zum Teil denken sie, es sei einfach. Man braucht ja auch nichts. Man braucht einen Computer oder Stift und Papier. Selbst wenn ich ein Bild malen will, brauche ich mehr. Aber unter den oben Genannten gibt es auch richtig gute Autoren. Es ist ja auffällig, dass es unter Kreativen bemerkenswert viele Doppelbegabungen gibt.

Schreiben nicht auch manche, weil sie es können, weil man es ihnen zutraut? Und nur die Bedingungen, die für eine Publikation des eigenen noch undeutlichen Schreibens nötig sind, bereits ohne eine echte Ansicht des Geschriebenen erfüllt sind und damit nichts überwunden werden muss als die Abgabe eines Texts?

Ja, die gibt es in der Belletristik – das ist ein bisschen wie Malen nach Zahlen. Es gibt Leute, die können das sehr gut und schaffen damit eine Ware, die auch zum Teil guten Absatz findet. Jetzt komme ich wieder auf Baßler und seinen »Midcult« zurück. Das kann man sich nämlich durchaus aneignen. Ich finde allerdings, dass ein Buch, das in der Schwebe ist zwischen Unterhaltung und Literatur, und diese Schwebe hält, von einer großen handwerklichen Könnerschaft zeugt, und einer emotionalen Intelligenz sowieso. Jonathan Franzen wäre hierfür ein Beispiel.

Wie sieht das Berufsbild der Schriftstellerin aus?

Das ist sehr weit. Erstmal gehört eine gewisse Quantität an Werken dazu. Ich finde, dass man, um sich Schriftsteller oder Schriftstellerin nennen zu können mindestens drei, vier, fünf Bücher geschrieben haben sollte. Und ein gewisses Niveau muss auch da sein.

Aber das hieße ja, dass viele derer, die ihr vertretet, keine Schriftsteller:innen sind.

Es gibt hervorragende »one-book-authors« und »hacks«: Menschen, die im Schnellverfahren ein Buch nach dem anderen heraushauen. Aber du hast mich nach dem Berufsbild gefragt.

Andere schreiben dann im Abstand von vier oder fünf Jahren ein Buch. Und brauchen somit 20 oder 25 Jahre, bis sie diesem Bild entsprechen.

Es dauert eben lange. Gerade rief eine Autorin an, die das Angebot eines Verlags bekam, in einer Reihe ein Bändchen zu machen. Das ist für mich eine Art Ersatz für Anthologien. Da werden Autoren angesprochen, die einen Namen haben und die sollen neben anderen 60-70 Seiten zu einem von einem Herausgeber ausgedachten Thema schreiben. Die Reihe, die verkauft sich, weil die Verfasserinnen dieser Bändchen bekannt sind. Oder weil die Leser sich für den Gegenstand des Büchleins interessieren. Das verdoppelt die Verkaufschancen. Aber es hat mit Literatur oder dem seriösen Sachbuch nichts zu tun. Es sind für mich Gebrauchstexte. Eigentlich rate ich es den Autoren ab, sofern es ihnen nicht ein Herzensanliegen ist.

Lass uns noch mal zu dir zurückkehren. Erst gab es für dich die Literatur, dann das Studium der Sprachen, dann eine Synchronstelle und später hast du für den WDR Manuskripte auf ihre Verfilmbarkeit hin geprüft …

Ja, das war, weil ich immer mit dem Film geliebäugelt habe und auch meine Magisterarbeit über den Film-Roman-Vergleich gemacht habe und dann eine Doktorarbeit angefangen habe, wo ich ein Theaterstück, eine Verfilmung und einen Roman zusammengenommen und einen Vergleich versucht habe. Ich war an bewegten Bildern interessiert und habe mir einen Filmregisseur eigentlich wie eine Art Schriftsteller mit einem anderen Stift, einer anderen Feder, vorgestellt. Da habe ich ein bisschen reingeschnuppert in diese Filmwelt.
Der Job hat mir großen Spaß gemacht. Ich meine, Lesen – und dafür bezahlt werden. Das ist doch klasse. Dass ich auch Bücher lesen musste, die ich mir vielleicht gar nicht selber ausgesucht habe, das hat mein Spektrum wahnsinnig erweitert. Das war eine ganz tolle Lehrzeit.

… und dann das Übersetzen.

Das literarische Übersetzen, ja! Ich habe kein Genre übersetzt, ich habe keine Krimis übersetzt. Keine Unterhaltung übersetzt. Immer Literatur. Weil mich das herausgefordert hat, und wenn ich etwas nicht verstand, dann war das etwas, wo man herumknobeln und suchen und recherchieren konnte.

Wie passen diese unterschiedlichen Formen deiner Arbeit zusammen?

Sicherlich ist es eine bestimmte Fähigkeit, die ihnen inhärent ist. Ich finde es auch interessant, dass meine Schwester, die nach mehreren beruflichen Stationen eine selbstständige, unabhängige Fernsehproduzentin wurde, jetzt, obwohl sie schon älter ist, angefangen hat, selbst Drehbücher zu schreiben, nach Jahrzehnten eigentlich, und ganz erfolgreich damit ist. Ich denke, das hat mit Fähigkeiten, Veranlagungen zu tun. Aber Übersetzen ist darüber hinaus extrem hilfreich bei der Analyse von Texten. Ich bin es gewohnt, Texte auseinanderzunehmen und wieder zusammenzubauen.

Ein Merkmal, dass für den Beruf der Schriftstellerin selten zu beobachten ist, bei dir aber unübersehbar wird, ist die Zusammenarbeit, die Vergemeinschaftung mit Menschen, mindestens aber deine Hinwendung zu ihnen.

Das war sicherlich eine Neigung, die ich immer hatte. Ich habe eigentlich alle Autoren, die ich übersetzte, kennengelernt und den Kontakt zu ihnen gehalten. Bei manchen war er enger, bei manchen nicht so eng. Aber ich habe Joan Didion zu Hause besucht. Salman Rushdie. Naipaul über sehr lange Jahre. Robert Coover auch. Eigentlich kannte ich die Autoren alle, die ich übersetzt habe. Tobias Wolff, Susan Sontag, Jayne Anne Philipps.

Hast du zu manchen von ihnen aufgeblickt?

Die Autoren, die ich zunächst übersetzte, waren alle älter als ich, manche bereits moderne Klassiker. Von ihnen allen habe ich viel gelernt, sprachlich, ästhetisch, historisch, auch politisch. Mit V.S. Naipaul, dem Nobelpreisträger, habe ich oft gerungen, mitunter gestritten. Er schrieb sowohl Sachbücher als auch Romane, Essays und persönliche Betrachtungen. Er arbeitete wie ein skrupulöser, akribisch recherchierender Journalist und war ein großer Stilist. Das gleiche gilt für Joan Didion und Susan Sontag. Dieses Über-die-Bande-spielen (den Begriff autofiktional gab es damals noch nicht) hat mich immer interessiert, und es interessiert mich nach wie vor. Auch übersetzte ich viele postkoloniale Autoren und Autorinnen (dieser Begriff war erst im Entstehen), neben Naipaul und Rushdie noch Bessie Head, Nadine Gordimer und Breyten Breytenbach. All das hat mir neue Welten und Einsichten erschlossen und ich bin dankbar, dass in der Arbeit mit so vielen jungen, interessanten Autoren und Autorinnen ein Kontinuum liegt.

Inmitten der gesellschaftlichen Transformationen der 90er Jahre hast du dann mit dem Übersetzen aufgehört. Deine persönliche Situation hatte sich verändert. Hing diese Entscheidung auch mit den Menschen zusammen, mit denen du bis dahin gearbeitet hattest?

Merkwürdigerweise hat damals niemand von Transformation gesprochen, aber der große Prozess, in dem wir jetzt stecken, hat in West-Europa definitiv mit dem Zusammenbruch unserer alten Welt, mit dem Ende des kalten Krieges begonnen und sich seitdem enorm beschleunigt. Mir ist es zunächst am Beispiel Berlin ganz klar, ganz spürbar geworden. Vieles ging unter, aber vieles entstand. Die Verlagslandschaft änderte sich, es gab neue Leseorte, neue Öffentlichkeit für die Literatur, viele neue Autoren. Ich habe mich dort hineingeschmissen mit Neugier, Offenheit und Freude. Das waren Veränderungen im Kleinen. Im Großen hat der Fall der Mauer nicht nur dazu geführt, dass neue Einheiten und Einigkeiten entstehen konnten, sondern auch, dass die Welt instabiler wurde, die Grenzen nicht mehr festgezurrt waren und neue Verteilungskämpfe entbrannten.
Es gab Bürgerkriege in Europa und um Europa herum, es gab Pogrome und Katastrophen. Endlich erkannten wir an, dass Deutschland ein Einwanderungs­land ist. Viele Menschen kamen. Auch Menschen, die schrieben oder schreiben gelernt haben. Viele der besten deutsch­sprachigen Autoren gehören dazu. Mit ihnen bin ich genauso in direktem Kontakt wie mit den damals jungen Schriftstellern, die ich zum Teil nun schon seit 25 Jahren begleiten darf. Ohne die Klassiker, den Kanon vernachlässigen zu wollen, ist es, um durch Lesen zu lernen, wichtig, dass die Literatur hier und jetzt, am Puls der Zeit entsteht und sich damit befasst.

Gibt etwas, dass du deiner Agentur heute wünscht?

Hinter meiner Haltung steckt die Überzeugung, dass die Entwicklung der literarischen Kultur und Kunst und die Entwicklung der Kommunikation, insbesondere durch Sprache, miteinander zusammenhängt, und dass man das nicht verschludern darf, sondern im Gegenteil immer wieder ins Gedächtnis der Öffentlichkeit tragen und entwickeln muss. Deswegen sind gut gemachte Zeitungen und Zeitschriften – gleich ob in Print oder elektronisch – wichtig, niveauvolle Hörprogramme, Fernsehen, Filme und vor allem eben Bücher, gedruckte und elektronische. Jedes Kind muss lesen lernen, denn ohne Sprachbeherrschung verkommt neben vielem anderen die Kommunikation und damit der Umgang mit Erinnerung und Zukunft.
Deswegen wünsche ich mir auch eine breite öffentliche Diskussion der Literatur, sprich, gut gedachte und geschriebene Rezensionen und Kritiken in allen Medien (hier appelliere ich an die öffentlich- rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten), Auseinander­setzungen mit literarischen Werken und ihren Verfassern im öffentlichen Raum, beginnend mit der Schule.
Für die Autoren wünsche ich mir, dass sie ihre Fähigkeiten und Talente, ihre Ideen, ihre Fantasie entfalten können, dass sie Raum und Zeit haben, Bücher zu schreiben. Für die Agentur wünsche ich mir nicht unbedingt einen numerischen Zuwachs an Autoren, sondern dass die Autoren für ihre Werke jeweils genügend Öffentlichkeit haben, und dass wir neue Geschäfts­felder entwickeln können, um Autoren herauszustellen. Wo sind Plattformen, auf denen Autoren zu Wort kommen und ihre Texte Publik machen können?

Und gibt es etwas, dass du dir für dich selbst wünscht?

Ich würde gerne mehr Weltliteratur lesen. Ich finde den Preis des Hauses der Kulturen der Welt eine gute Idee, genau wie der Preis für übersetzte Literatur in Leipzig und überhaupt alle Übersetzer­preise. Wir müssen das Augenmerk lenken auf die Geschichte und Geschehnisse in anderen Teilen der Welt, die uns viel mehr tangieren, als wir noch bis in die späten achtziger Jahre glaubten. Ich finde auch, dass wir auf einem guten Weg waren, trotz kriegerischer, wirtschaftlicher und klimatischer Probleme, auch in Europa. Das spiegelt sich auch in der deutsch­sprachigen Literatur, die sehr viel welthaltiger geworden ist, als sie es früher war. Dann kam nach den zwei Jahren der Pandemie der Angriffskrieg auf die Ukraine, leider für viele überraschend, nun der Konflikt zwischen Israel und der Hamas, der sich auf ganz Palästina ausgeweitet hat, und die Weltlage ändert sich erneut, der Transformationsprozess beschleunigt sich, die Erfahrungen, Haltungen, Meinungen fragmentieren sich. In der Literatur finde ich Halt, Orientierung und Horizont­erweiterung durch Geschichten, Erinnerungen und Zukunftsvisionen.

Wir sprachen mit Karin Graf erstmals am 10. Januar 2023 in Berlin-Charlottenburg und haben das Gespräch das gesamte Jahr über fortgesetzt.

Redaktion: Jakob Moog, Cecilia Scherer, Konstantin Schönfelder, Holm-Uwe Burgemann

Fotografien: Holm-Uwe Burgemann

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#15 Karin Graf
Kapitel I–II
Kapitel I Die Agentur
Kapitel II Die Agentin

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