KLINGSPOR MUSEUM x PRÄPOSITION
Gespräche und Performances an 5 Abenden im Sommer 2023
Sprache und Schrift kommen von überall her. Sie kennen Mittelpunkte und Ränder, sind Akzent und Dominanz, Dialekt und Slang, Migration und Expansion. Sie materialisieren sich als analoger Bestseller und marginalisierte Literatur, als Radio-Sound und als Rap einer neuen Avantgarde, als schnell geschriebener Kommentar, als Gebet, als Bitte um Antwort, auf Papier und in Pixeln.
Dass der Sprachwandel mit seinen ständig neuen Sprechweisen ein Ende der Schrift besiegelt, ist ein erstaunlich resilienter Mythos unserer Gegenwart. Denn niemals gab es mehr Texte als heute. Sie haben ihre Gestalt geändert und sich unerkannt in neue Lebensräume ausgedehnt.
TEXT MATTERS. MATTERS OF TEXT, ein Festival zur Materialität der Sprache, beschäftigt sich mit der Frage, aus welchem Stoff die Texte der Gegenwart gemacht sind und wie sie sich in unserem Alltag niederschlagen.
Marlene Streeruwitz (*1950), Schriftstellerin und Dramatikerin, beschrieb den Kanon der Moderne als die »Langeweile des Phallus zwischen den Orgasmen«. Mit ihren Theaterstücken und Romanen entschlüsselte sie die »Banalitäten« des weiblichen Alltags und wurde so zur meistgelesenen radikaldemokratischen Autorin der deutschsprachigen Gegenwart. Erschienen u. a. Geschlecht. Zahl. Fall. (2021) und Tage im Mai. (2023).
Uljana Wolf (*1979), Lyrikerin, Essayistin und Übersetzerin, sieht Versprecher, Verleser und andere Missverständlichkeiten als ästhetische Mittel für eine neue, offene Identität. So erforscht sie Fragen der Migration und Sprachpolitik. Nach ihrem vielfach ausgezeichneten Debüt kochanie ich habe brot gekauft (2005) erschien zuletzt Etymologischer Gossip (2021).
Wa22ermann, Rapperin, ist über Nacht berühmt geworden, doch trägt sie die Spuren und Narben emotionaler Achterbahnfahrten eines Lebens davor in jeder Line ihrer Lieder. So textet sie in Blaurot: »Irgendwo pocht mein Herz noch / unter ‘ner Schicht aus Misstrau’n« und beschreibt damit nicht nur den nächtlichen Alltag Berlins, sondern auch die unausweichliche Dämmerung einer neuen Generation.
Über Joshua Groß (*1989), Schriftsteller, heißt es, seine Texte stünden eines Tages in den Schulbüchern des 22. Jahrhunderts. Doch im Kontrast des Realen mit seinem Phantastischen zählen seine Texte schon jetzt zu den Schlüsselwerken der avantgardistischen Pop-Literatur. Erschienen u.a. Flexen in Miami (2020) und Prana Extrem (2022).
Corinna Krebber (*1963), bildende Künstlerin, schafft raumgreifende Installationen, die neue Formen der Lesbarkeit aufzeigen. Ihre abstrakten schriftkünstlerischen Arbeiten erkunden das Verhältnis von Sichtbarem und Aussagbarem. Letzte Ausstellungen u.a. vom verschwinden der gewissheiten (2018) und Choreografie der Zeichen (2019).
MIMII, Rapperin, groß geworden auf den Freestyle-Bühnen, hat sie im Hip-Hop ein Lebensgefühl gefunden, in dem sich Blüte auf Blut reimt und sich harte Zeilen gegen die härtere Realität behaupten.
Sophia Eisenhut (*1995), bildende Künstlerin und Schriftstellerin, arbeitet streng interdisiziplinär. Ihre ebenso kirchengeschichtliche wie post-feministische Meditation EXERCITIA S. Catarinae de Manresa. Anorexie und Gottesstaatlichkeit (2021) begreift das Historische als Quelle neuer Utopien.
Senthuran Varatharajah (*1984), Schriftsteller, Philosoph und Theologe deutsch-tamilischer Herkunft, schreibt Literatur als Liturgie. Nach seinem mehrfach ausgezeichneten sprachkritischen Debüt Vor der Zunahme der Zeichen (2017) erschien jüngst die kannibalische Liebesgeschichte Rot. (Hunger) (2022).
Norwin Tharayil (*1989), Autor:in und Musiker:in, arbeitet an den Schnittstellen von Text, Sound und Performance. Zuletzt wurde sein:ihr Hörstück To Drag A Carcass Through The Night Sky in den Khoj Studios (Neu-Delhi) gezeigt. Als Elfrid The Third macht Norwin Musik, sein:ihr Debütalbum A CASE OF PARANOIA wurde im Mai veröffentlicht.
Charlotte Rohde (*1992), Designerin und Künstlerin, sagt über sich selbst: »I’m not a writer – I’m a wronger«. In ihrer multidisziplinären, poststrukturalistischen Forschung bearbeitet sie das Schriftzeichen entlang seines emanzipativen Potentials. Letzte Einzelausstellung You Loved An Image (2023), derzeit Gastprofessorin an der Bauhaus-Universität für Typografie und Type Design.
Joseph Vogl (*1957), Philosoph und Literaturwissenschaftler, ist einer der vielseitigsten Denker unserer Zeit. Als Professor an der Humboldt-Universität Berlin und der Princeton University schrieb er das mehrfach übersetzte und bis hinein in die Höhen des globalen Finanzkapitalismus gelesene Das Gespenst des Kapitals (2010) sowie Der Souveränitätseffekt (2015). Sein Langessay Über das Zaudern (2007) gehört zu den einflussreichsten Texten zur Poetik der ästhetischen Aktion.
GG VYBE sind eine FLINTA*-DJ-Gruppierung, die das kollektive Auflegen als radikalpolitische Praxis gegen die sexistische und rassistische Normalität von Musik- und Unterhaltungsindustrie begreift und kämpft damit für nicht weniger als die bessere Gesellschaft.
Ann Cotten (*1982), Schriftstellerin und Theoretikerin, gilt als die kühnste Stimme der deutschsprachigen Lyrik. Ihre Poesie besteht ebenso im spielerischen Sprachexperiment wie in einem besonderen Interesse an Systemen, philosophischen Strukturen und künstlicher Intelligenz. Nach ihrem bahnbrechenden Debüt Fremdwörterbuchsonette (2007) spürt sie in Die Anleitungen der Vorfahren (2023) dem kolonialen Erbe Europas nach.
Ella Ponizovsky Bergelson (*1984), bildende Künstlerin, ist in Moskau geboren, in Jerusalem aufgewachsen und lebt in Berlin. Mit ihrer kosmopolitischen Methode einer »hybriden Kalligrafie«, verschmelzt und verwebt sie mehrsprachige Formen, Wörter und Sätze. Zu ihren monumenthaften Arbeiten gehören The Deviator und das AR-basierte Pseudo-territory (beide 2022).
Neromun (ehemals Negroman), Rapper, hat die Unberührbarkeit dieser Berufsbezeichnung abgestreift. Sein Album Blass, das im September erscheint, beweist, dass R’n’B auf Deutsch möglich ist, wo er sich in Andeutungen erschöpft und dann, von Semikolon zu Semikolon, unser Herz berührt. So schreibt er in MoMA PS3: »Wander alleine durchs Museum ; und verstecke meine Tränen ; Gelenke brechen wie Versprechen ; niemand hat das kommen sehen ; ganz egal was du dir nimmst ; uns verbindet jeder Schnitt ; wie jeder Name den du mir gibst ; doch nur hält was er bricht«.
Offenbach ist ein einzigartiges Beispiel für die Konzentration von Kulturen und alltagsästhetischen Realitäten. Entlang ihrer Spannungen lässt sich hier das ganze Potential einer kosmopolitischen Gesellschaft ablesen. Nirgends sonst kreuzen sich die geschichtlichen Linien einer Arbeit am Text mit solcher Intensität.
Das KLINGSPOR MUSEUM verkörpert mit 80.000 Künstler:innenbüchern, Plakaten, Schriftteppichen und Kalligrafien die Materialität der Schrift in Geschichte und Gegenwart: matters of text.
PRÄPOSITION wurde als literarischer Raum im Internet geboren und sucht nach einer neuen multimedialen Inszenierung von Sprache und Schrift: text matters.
Klingspor Museum
Herrnstraße 80
63065 Offenbach
Tel 069 8065-2164
Web www.klingspormuseum.de
Facebook klingspormuseum
Instagram @klingspor_museum
Leitung Dorothee Ader
Assistenz Kristina Mukhacheva, Sören Gohle
PRÄPOSITION
Web www.praeposition.com
Instagram @praeposition
Kuration und Moderation
Konstantin Schönfelder, Holm-Uwe Burgemann
Gestaltung (Studio) Daniel Zenker
Artwork Ruth Roxane Eckrich
Animation Virginie Calvet
Soundscape Fabian Saul
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