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#64 Saidiya Hartman: Diese bittere Erde (ist womöglich nicht, was sie scheint)

von Holm-Uwe Burgemann

Dass einem ein kleines Buch in die Hände fällt, ist heutzutage gleich in mehrerer Hinsicht ungewöhnlich. Erstens seiner Größe halber, durch die es schon an sich neben den optisch schwerer und sodann auch gewichtiger scheinenden Büchern schnell übersehen wird. Und dann, zweitens, weil sich in diesem Mangel an Präsenz, in der Materialität des Buches, der Art seiner Bindung, der Stärke und Breite seines Rückens, Annahmen über sein Potential im Bücherkapitalismus, seine prophezeite Popularität, seine künftige Güte ausdrücken.
Folgte man dieser Kalkulation, so wäre Saidiya Hartmans Diese bittere Erde (ist womöglich nicht, was sie scheint) nahezu bedeutungslos.

Kaum ausgelesen, ist der dünnwandige und anfangs noch verheißungs­voll glänzende Papier­einband abgestoßen. Das Buch, sein Inhalt, bereit entsorgt zu werden.
Andererseits ist es ein Ausdruck der Resilienz kleiner Buchverlage, wie hier des August Verlags, dieser Logik nicht Platz zu machen. Denn wenn sich der spätere Umgang des Publikums mit einem Buch auch nur bedingt planen lässt, ermöglichen lässt sich, dass es überhaupt als solches zu kaufen ist und nicht wie die große unbekannte Masse an Texten unverkäuflich und demnach für immer unlesbar bleibt.

Nun also liegt, nicht zuletzt durch die behände, ja, bisweilen lyrische Übersetzung von Yasemin Dinçer, in der jegliche Restbestände an englisch­sprachiger Syntax und Schreibweise überwunden sind, mit Diese bittere Erde (ist womöglich nicht, was sie scheint) eine Sammlung sozial­kritischer Essays vor, die eine ungemein plastische, beinahe skulpturale Kritik aufbauen, die innerhalb der Standards eines wissen­schaftlichen Beitrags schon ihrer Haltung halber unmöglich scheint.
Und doch müssen sie so gelesen werden: als Absicht einer »Forschung«. Wenn auch einer Forschung mit anderen Mitteln, die – und das mag hier das Besondere, das Außer­gewöhnliche sein – nicht nur im engeren, sondern auch im weiteren Verständnis diesem Begriff gehorcht. Im engeren, weil Saidiya Hartman als schwarze Kultur­historikerin und Literatur­wissen­schaftlerin an der Columbia University in New York lehrt; im weiteren, weil ihr Selbst­verständnis durch die Arbeit, die in diesen Räumen klassischerweise verrichtet wird, nur schlecht beschrieben wäre.

Ich bin besessen von Fragen des Archivs, des Schweigens, der Intransparenz, der Abwesenheit und des Nachlebens der Sklaverei sowie von der Arbeit der Erzählung und Poesie, der Performance und der tagtäglichen Praxis, um diese Situation zu überwinden und ihr zu entkommen, um einen freien Zustand vorweg­zunehmen und in ihm zu frohlocken. Kritische Fabulation hat mir einen Weg geboten, die Gewalt des Archivs zur Sprache zu bringen und seine Beschränkungen zu überschreiten. Diese Arbeit der imaginativen Konstruktion, der archivarischen Montage und Umstellung, des rekombinanten Narrativs, der spekulativen Geschichte und des personalen Erzählens sind zentral für meine Beschäftigung mit diesen Angelegenheiten und für meine Praxis als Autorin und Wissen­schaftlerin.

Wer nicht in einer Universität großgeworden ist, den mag überraschen, dass nicht jeder sozial­kritischen Analyse ein solches präfiguratives Moment zugrunde liegt, sondern eher die Ausnahme bildet. Dass Saidiya Hartman wenig an der sauberen, norm­wissenschaft­lichen Rekonstruktion eines historischen Komplexes liegt (und wie sähe eine solche auch aus), das belegt diese Sammlung. Damit steht die Autorin im Widerspruch zur oft leidenschaftslosen Mehrheits­wissenschaft, der ein echtes aktivistisches Selbst­verständnis zu unsauber, zu schmutzig ist, und das womöglich auch, weil es bedeutete öffentlich Position zu beziehen. Was immer auch heißt: den Kodex verletzen, den Kanon übersehen, sich angreifbar machen.
Wer jedoch längst angegriffen ist, wie es eine person of color ganz gleich ihrer Beschäftigung (oder ihres heutigen sozialen Status) erleben muss, mag seinerseits von der Möglichkeit eines nicht-aktivistischen Selbst­verständnisses überrascht sein. Betroffenheit ist eine Last, die, so gesehen, neben Ohnmacht nur Engagement als Ausweg zulässt. Ohne echte Betroffenheit aber ist Engagement, ja, ist die Sehnsucht nach Revolution, selten.

Dass Saidiya Hartman hierbei der Strömung des »Abolitionismus« angehört (und was das bedeutet) ist für das Lesen dieses Buches als paralleler Kontext, auf den sich auch noch jene einigen können, die nicht betroffen sind, sicher interessant, aber letztlich nicht relevant. So erscheint, was innerhalb der Universität ein Mittel erster Beschreibung wäre, als bloße bottom line, unter der nur eine Summe, aber kein einziges einzelnes Schicksal mehr steht.
Forschung, so schimmert es hier durch jede Seite, kann nicht die Verwaltung der Menschen als Sachen, als Merkmale und abstrakte Größen sein, kann nicht Geschichten durch ihre Mechanismen entschlüsseln, kann nicht die Bilder der Gewalt durch bloße Beschreibungen verhüllen, geschrieben in einer Sprache der Eingeweihten.
Und darum bemüht sich Saidiya Hartman um nichts davon, das heißt: Sie bemüht sich um das Gegenteil.

I.

Er beobachtet den Menschen­strudel, der sich entschlossen den Broadway entlangbewegt. Er kauert oben auf der Treppe und zögert vor dem Eingang, während die Kunden und Angestellten der Bank ihn im Vorrübergehen streifen. Ein Nicken, ein bestätigender Blick, ein knappes Hallo, ein widerwilliges Anerkennen seiner Existenz bleiben aus. Niemand würde bei einem flüchtigen Blick auf ihn einen Ausdruck wie »hoch aufragende Gestalt« verwenden oder auch nur einen Augenblick mit der Frage vergeuden, welche Position er wohl bei der Bank innehat. Wörter wie untätig oder herumlungernd oder herrenlos oder unterwürfig streifen die trüben Ränder des Bewusstseins, latent und ohne die volle Aufmerksamkeit oder Absichtlichkeit von Gedanken (…) Nur wenige bemerkten ihn. Nur wenige bemerkten ihn auf eine Weise, die keinen Stich versetzte. Er war außerhalb der Welt – »nichts!«

Das erste Essay dieser Sammlung, »Das Ende weißer Vorherrschaft, eine amerikanische Liebes­geschichte«, handelt, denn dies ist seine Geschichte, von einer Nicht-Gestalt, die Jim heißt. Ein Name der »nichts­sagend und allgemein genug« ist, um »ein Homonym für jeder­mann« zu sein, ein männliches vor allem aber Possessiv­pronomen, das den Besitzlosen als niemand preisgibt. Als solcher entblößt sitzt Jim vor einer Bank in Manhattan. Warum, wissen wir nicht, und es ist in diesem Moment auch nicht weiter wichtig. Nur in Klammern nennt Saidiya Hartman einige der Gründe, und wenig später, erneut in Klammern noch einige – doch jetzt ist nicht der richtige Moment. Die Autorin war »abgeschweift von jenem speziellen Drama«, das sich hier ereignen wird, wenn das

Desaster eine Öffnung oder eine Nivellierung erzeugt, die ihm erlauben könnte, in seiner Haut zu atmen und aus der Einfriedung des Nichts und der Verachtung des Schwarzseins befreit zu werden. Kurz vor Mittag wird die Zerstörung der Welt ihm die Chance bieten, so menschlich zu sein wie andere Männer. Die unheimliche Strahlung und die Musik in Moll, produziert durch den Zusammenbruch der Ordnung, durch die Katastrophe, werden das Versprechen eines unange­fochtenen schwarzen Lebens bieten.

Denn ein Komet rast auf die Erde zu und wird alle außer ihn umbringen. Am Ende der Apokalypse, auf der unversehrten, aber unbelebten Erde, wird Jim zum ersten Mal ein Mensch sein – und doch wird er ein Mensch wie kein anderer sein, weil es für die kurze Dauer dieser Geschichte keinen anderen außer ihn mehr gibt.
Die Geschichte, die Saidiya Hartman liest, heißt »Der Komet« und stammt aus dem letzten Kapitel von W.E.B. Du Bois’ Roman Darkwater. Sie ist nur ein Ausschnitt aus der roten Bilanz, dieses »Atlas schwarzen Sterbens«, der jedes Buch überragt. Als Erzählung aus zweiter Hand ist hier nichts neu. Saidiya Hartman stellt kein Material her. Aber sie häuft dieses an, ordnet, kommentiert und macht diese Geschichte eines niemand lesbar als Geschichte all jener, die so sind wie er.
Sie ist Ausdruck eines Afropessimismus, nur eine spekulative Fiktion. Geschrieben von Du Bois und nacherzählt von Saidiya Hartman überstreicht sie jene color line, die unsichtbar und geschichtslos macht, weil die Welt, in der sie sich einst befand, für die Dauer ihres Augenblicks nicht mehr besteht, und damit jede Referenz und Erinnerung im Raum des Nichts und Nie-Wieder verstummt.
Doch Jim ist nicht allein, nicht ganz. Auf seinen Streif­zügen durch das nunmehr lautlose Manhattan hört er Schreie. Es sind die Schreie einer Weißen. Jim wird sie retten und gemeinsam werden sie sich aufmachen, den Spalt zwischen ihnen zu überwinden.

Gestern, dachte er voll Bitterkeit, hätte sie ihn kaum eines Blickes gewürdigt. Er wäre Schmutz unter ihren seidenen Füßen gewesen.

Und als sie sich endlich nahe sind, wird klar: Diese Erde ist kein Paradies. Diese bittere Erde ist –

Sie bewegten sich aufeinander zu … Sie riefen, beinahe einstimmig: »Die Welt ist tot.« Diese Worte künden von einem größeren Versprechen als »Ich liebe dich.« Doch bevor sie die Schönheit dieses Satzes, »die Welt ist tot«, wiederholen können, oder ihren Untergang und das Versprechen einer zukünftigen Welt feiern, oder ausrufen: »In unserer geteilten Not sind wir alle Menschen, oder wir sind alle nichts«, werden sie unterbrochen durch das laute Hupen eines Automobils, das die Moll-Musik übertönt, das Summen und Murmeln der Erde ohne Menschen. Hup! Hup! Der irre Schrei der Welt. Die tote Stadt ist erwacht, und die weißen Männer sind zurückgekehrt (…)

II.

»Wenn du laut einen Text liest, ist es dann nicht deine Stimme, die du hörst? Die Geschichte des Schweigens ist ein Text. Das Horchen auf das Schweigen, ein Buch«, schreibt Edmond Jabès.

Auch dieses Büchlein gehört in die Reihe jener Bücher, die als Mahnung nur zu Horchen und damit auf ein Schweigen hin gelesen werden müssten. Wenn auch nur dort, wo seine Geste nicht palliativ oder bloß beschreibend, sondern inklusiv, ich möchte sagen, emanzipativ ist. Weil doch eine emanzipative Forschung gerade darin bestehen müsste, keine Lücken zu schließen, sondern eben jene bereit­zu­stellen, auf dass andere kommen und sie aufs Neue bearbeiten.
Noch in den älteren beiden Essays, die die zweite Hälfte dieser Sammlung bilden, bemerkt Saidiya Hartmann, hier mit den klassischeren Mitteln der Sozial­forschung, dass der Gegenstand, um den es ihr gehe, »unübersetzbar in den Wortschatz des Politischen sei«. Das mag man für erstaunlich halten, verneinen ihre jüngeren Texte, die darum wohl nicht grundlos am Anfang stehen, doch eben diesen Eindruck. Und doch war diese Beobachtung, als sie geschrieben wurde, richtig. Den jüngeren beiden stehen sie dennoch in jeglicher Hinsicht nach; das heißt, sofern der Maßstab eine literar­ische Kritik ist und nicht die bloße historische Beschreibung.

Nicht ihr Essay »Der Bauch der Welt« – in dem die schwarze Frau als Repro­duktions­kapital die Beschlag­nahmung ihrer Gebärmutter erleben und später als längst befreite Haushaltshilfe einsehen muss, dass Sklaverei ein Klebstoff ist, dessen Fäden sich auch dann noch ziehen, wenn die Trennung von Besitz und Besitzendem längst vollzogen scheint, weil sie es nun selbst ist, die nicht anders kann, als dem Weißen zu unterstehen, weil doch »alles, was wir besitzen (und was wir sind)«, wie Fred Moten schreibt, das ist, »was wir in unseren ausge­streckten Händen halten« (und was hält sie dort?) – lässt uns, die wir geneigt sind zuzuhören, jene auch beim zweiten, dritten und vierten Mal noch ohnmächtig machende Lücke übersehen, die »Das Komplott zu ihrer Zerstörung« für uns hinterlässt.

Dies ist ein Langgedicht, an dem jede Beschreibung endet. Dies ist die Grenze, hinter der das Aufheben des Schmerzes, den wir angesichts des Ungeheuer­lichen empfinden müssen, in seiner ursprüng­lichen Ganzheit, als Bewahrens­wertes und als Abschaffung der Geschichte bis hierhin, gelingt und echte Anteilnahme möglich wird. Hier ist Sprache wahrhaft menschlich. Hier denke ich an Teju Cole, der sagt: »Literature can save a life.« Und warum sollte das nicht auch für diese gelten?
Ich glaube nun, dass wir gerade dort, wo wir nicht lesen können, hören müssen, und dass darum auch dieses Langgedicht gehört werden muss, gehaucht, die Laute zerrieben, dicht, zu dicht am Ohr. Solange bis es nicht mehr geht – dann wieder geht – dann nicht mehr – dann wieder – nicht – wieder.
Bis wir dann aufstehen, murmelnd, diesen ersten und letzten Satz auf der Zunge, der eigenen, ihn nachsprechend, weil es anders sein könnte, weil es anders werden muss, weil es besser werden soll. Und so sprechen wir schließlich schweigend zu uns selbst.

(Dieser Auszug wird im Sinne einer lyrischen Darstellung in Strophen wiedergegeben.)

Das Komplott zu ihrer Zerstörung beginnt mit seiner Herrschaft. Es beginnt im 15. Jahrhundert mit einer päpstlichen Bulle, mit einem Philosophen am Schreibtisch, der mit gezückter Feder die Welt in Kategorien von Gattung und Spezies unterteilt. Es beginnt mit einer Kaufurkunde, mit einem Zeitungs­artikel, der ihre Vergehen aufzählt, mit einer der Akte beigefügten Notiz: Sie beantwortet Fragen ohne Umstände, wirkt aber dumm.

Es beginnt mit einer Eintragung in das Hauptbuch, der sie als Nummer 71 aufführt, ein mageres Mädchen, und ihren Namen für immer ausradiert.

Das Komplott zu ihrer Zerstörung beginnt mit der Einfriedung. Sie wird rasch zu einem Punkt auf der Liste: sein besiedeltes Land, sein Besitz, sein Grundstück, seine Plantage, seine Morgen Land, seine Grenze, sein Zaun, seine Familie, seine Ehefrau, sein Vieh, seine Zuchtstute, seine Sklavin, seine Amme, seine Schlampe, seine Welt.

Das Komplott zu ihrer Zerstörung beginnt, wenn er mit ihrer besten Freundin schläft, wenn er ihr Tochter belästigt, wenn er sich weigert, das Kondom zu benutzen, wenn er sie im Erst­semester­wohnheim zum Sex zwingt.

Es beginnt mit den imperialen Konzepten wie »Bevölkerungs­dichte« und »Niemandsland« und »das neue Jerusalem«. Es beginnt mit dem Ost­indien­handel und dem Afrika­handel. Es beginnt mit der Krankheit des Königtums. Es beginnt mit der Kandare in ihrem Mund und den Peitschen­hiebe auf ihrem Rücken.

Das Komplott zu ihrer Zerstörung beginnt mit Enteignung und der Herrschaft des Rechts. Es beginnt mit der Stufen­leiter der Natur, es beginnt mit ihrer Verbannung auf die unterste Stufe, es beginnt mit dem beschränkten Empfindungs­vermögen von Tieren und Wilden, es beginnt mit Waren, die sprechen. Es beginnt mit den Menschen- und Bürger­rechten. Es beginnt mit dem Treueeid, mit dem Sternen­banner, mit dem Eisernen Kreuz, mit dem Traum von Zugehörigkeit, mit der Trennung zwischen uns und ihnen, mit Gewinn­margen und Erträgen, mit der Liebe zu Gott und Vaterland, mit der perlen­besetzten Pistole, mit dem Mangel an Sicherheit, mit dem notwendigen Krieg, mit einem weißen Palisaden­zaun, mit der NRA und IRAs, mit dem Investment­vermögen, mit Balenciaga, mit der Renovierung der Brownstones im Viertel, mit den Verordnungen über laute Musik, Straßen­feste, Barbecues in Vorgärten und Abhängen auf der Treppe nach Einbruch der Dunkelheit.

Die Zerstörung des Komplotts vollzieht sich im Verborgenen. Diese Zerstörung wird so gut wie nie überhaupt erkannt, und mit Sicherheit nie als bedeutsam.

Die Zerstörung des Komplotts setzt nicht die Frau für den Mann ein oder stürzt die Hierarchie, um selbst zur Hierarchie zu werden. Sie tauscht nicht den schlechten Staat durch den guten Staat aus.

Die Zerstörung geschieht nicht zu seiner Unterhaltung, selbst wenn sie zu deinem Nutzen geschieht.

Die Zerstörung des Komplotts beginnt mit ihrem Abkommen vom Kurs, mit einem Irrweg, mit einem Der-Welt-Abhandenkommen.

Sie beginnt mit der Erde unter ihren Füßen. Sie beginnt mit ihnen allen, versammelt am Fluss, zum Angriff bereit, mit ihnen allen, zusammen­gekommen in der Squatter­siedlung, mit ihnen allen, bei der Vorbereitung frei zu sein auf der Lichtung. Sie sagen nicht, was sie wissen: Alles wird verändert werden. Die Zerstörung des Komplotts beginnt mit ihrer unkontrollier­baren Zunge, mit ihren ausge­streckten Händen, mit Liedern, die quer durch das unfreie Territorium und das okkupierte Land geteilt werden, mit den Liebes­versprechen, die den Widerstand antreiben, mit der Vorstellung, diese bittere Erde ist womöglich nicht, was sie scheint.

Saidiya Hartman, Diese bittere Erde (ist womöglich nicht, was sie scheint), Berlin: August Verlag 2022

Der vollständige Essay im englischen Original hier.

Produktion: Holm-Uwe Burgemann

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#64 Saidiya Hartman: Diese bittere Erde (ist womöglich nicht, was sie scheint)

Im kürzlich erschienenen Reader Abolitionismus (Suhrkamp 2022), der von Daniel Loick und Vanessa E. Thompson herausgegeben wurde, heißt es: »›Abolitionismus‹ bezeichnet sowohl einen theoretischen Ansatz als auch eine politische und soziale Bewegung, die sich für die Überwindung staatlicher Gewaltinstitutionen wie Gefängnis und Polizei einsetzt. In der Tradition des Kampfes gegen die Versklavung Schwarzer Menschen betonen Abolitionist:innen die rassistische Geschichte staatlicher Gewaltapparate und ihre Komplizenschaft mit Formen kapitalistischer Ausbeutung und patriarchaler Unterdrückung.« (zum Buch)

(Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um die Gründe dafür zu erläutern oder eine biografische Skizze eines schwarzen Kuriers in New York zu liefern, oder eine große Theorie darüber wie Menschen aus Afrika zunächst zu Gefangenen und dann zu Waren wurden, oder ausführlich die Formen der Knechtschaft zu beschreiben, die das schwarze Leben bestimmen, oder ein Bild der Einfriedung zu zeichnen, oder zu erklären, weshalb die Bank die Schwelle ist zu jenem Alles und Nichts, das der Negro, die pieza de India, der Leibeigene, das bewegliche Vermögen darstellen, die Varianten seiner Enteignung. Die Gründe darzulegen oder solche Fragen zu erörtern wäre verfrüht, solange nicht der Kontext der Geschichte genau bestimmt, ihr Autor erwähnt, ihre Figuren benannt, der Schauplatz arrangiert und der Plot in Gang gesetzt sind, und man würde damit riskieren, nur das Offensichtliche festzustellen: Er ist auf der Welt nicht zu Hause. Ich könnte das näher ausführen und zusätzliche Elemente liefern, zum Beispiel: Er wirkt so klein vor dem Hintergrund des großen Gebäudes, reduziert durch die Solidität und Masse der Granitstruktur und den Rahmen der riesigen dorischen Säulen, aber diese Einzelheiten werden in der Geschichte nicht genannt, daher könnten die Stufen genauso gut aus Beton und die Bank ohne Säulen sein, in welchem Fall die Mahagonitüren am Eingang genügen müssten, um die Erhabenheit von Kapital und Imperium heraufzubeschwören. Die Schifffahrtsgesetze, die internationalen Handelsabkommen, der Sklavenhandel, die Seeversicherung, das gestohlene Leben und Land: All das, was notwendig ist, um Mahagoni zu schlagen, Bäume zu fällen, sie nach Europa und Nordamerika zu transportieren und Türen anzufertigen, würde zurücktreten vor der Schönheit des dunklen Holzes und der polierten Messingarmaturen.)

(Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um die Geschichte nachzuerzählen oder die Reihe von Umständen zu beschreiben, die diese Negierung produzierten, oder um Begriffe einzuführen, denen jede Musikalität fehlt: Akkumulation (ursprüngliche oder wiederkehrende), Fungibilität, natale Entfremdung, Verwandshaftslosigkeit. Nicht der richtige Zeitpunkt, um die Kräfte darzustellen, die ihn auf diese Stufen der Bank im Finanzdistrikt, dem räuberischen Herzen der Stadt, geführt und ihn in die untersten Tiefen verbannt haben, als nichts, als niemand. Nicht der richtige Zeitpunkt, um zu offenbaren, dass er, zum Stillstand gebracht auf den Stufen dieser Kathedrale des Kapitalismus, als wäre es die Kreuzung zwischen dem Dasein als Mensch und einem Dasein als überhaupt nichts, beinahe weinen könnte.)

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